Zur Schule ohne Hindernisse – was Schulwege weltweit mit dem Kinderrecht auf Bildung zu tun haben

von Malte Pfau, Sprecher der Globalen Bildungskampagne Deutschland

Weltweit warten jeden Tag über zwei Milliarden Kinder und Jugendliche auf den Schulbus, die Bahn oder Freundinnen und Freunde, um sich auf den Weg zur Schule zu machen. So unterschiedlich wie die Regionen sind auch die Schulwege, Herausforderungen und Gefahren, denen sich Kinder weltweit jeden Tag stellen müssen. Denn um ihr Recht auf Bildung wahrnehmen zu können, setzen sich täglich Millionen von Schulkindern enormen Risiken aus.

Auf meinen Reisen für die Kindernothilfe habe ich immer wieder Kinder getroffen, deren tägliche Strapazen für die Wahrnehmung ihres Rechts auf Bildung mich zugleich fasziniert und bedruckt haben – wie etwa Beauty, die ich in Sambia kennengelernt habe. Jeden Tag ist sie zusammen mit ihren Freundinnen und Geschwistern nur für den Schulweg zwei Stunden zu Fuß unterwegs. Es wäre wünschenswert, wenn es für alle Kinder ein Recht auf einen zumutbaren Schulweg gäbe. Aber gerade in ländlichen Regionen ist dieser Wunsch nur schwer umsetzbar.

Eindrucksvoll wird dies im Dokumentarfilm „Auf dem Weg zur Schule“ von Pascal Plisson erzählt. In dem Film erzählt der französische Regisseur die unterschiedlichen Schulgeschichten von Kindern in den entlegensten Gegenden der Welt: sie leben in der Savanne Kenias, im Atlasgebirge Marokkos, im Süden Argentiniens und in Indien. Sie sind unter völlig verschiedenen klimatischen Bedingungen unterwegs: durch Eis und Schnee, durch die afrikanische Steppe, durch Wüstensand. Einige Kinder haben abenteuerliche Schulwege, wenn man es positiv ausdrucken will. Treffender wäre: Wege mit unwägbaren Hindernissen oder gefährlichen Etappen. Wie etwa bei Neymar, er lebt im Amazonas-Tiefland in Ecuador. Um zur Schule zu gelangen, müssen er und seine Geschwister gefährliche Wasserläufe überwinden, die je nach Wetterlage innerhalb kürzester Zeit zu tödlichen Fluten werden können.

Gerade das Beispiel aus Indien zeigt: Die Gefahr auf dem Schulweg einem wilden Tier zum Opfer zu fallen oder in eine Schlucht zu stürzen sind auch im Globalen Süden eher exotisch. Die eigentliche Gefahr ist global betrachtet, egal ob in Europa, Amerika, Afrika oder Asien, eine ganz andere: Das Auto – oder exakter: Der Straßenverkehr. Verletzungen im Straßenverkehr sind weltweit eine der häufigsten Todesursachen bei Kindern und Jugendlichen. Jeden Tag gefährden überfüllte und chaotische Straßen das Leben von Kindern auf dem Weg zur Schule, und die Situation wird sich noch verschlimmern, da sich die Zahl der Straßenfahrzeuge bis 2030 voraussichtlich verdoppeln wird1. Kein Land der Welt ist dagegen immun. In den Vereinigten Staaten sterben jedes Jahr mehr als 600 Kinder bei Verkehrsunfällen, und mehr als 91.000 werden verletzt. In Deutschland wurden im Jahr 2021 mehr als 22.000 Kinder verletzt, 49 davon tödlich. Die meisten Todesfalle von Kindern im Straßenverkehr ereignen sich jedoch in Landern mit niedrigem und mittlerem Einkommen.

In Indien zum Beispiel sind rund 38 Prozent der Todesfälle bei Kindern unter 14 Jahren auf Verkehrsunfalle zurückzuführen, viele davon auf oder vom Weg zur oder von der Schule. Auch auf dem Schulweg zeigen sich übrigens Diskriminierungen. Für Kinder mit Beeinträchtigungen stellt der Weg oft unüberwindbare Hindernisse dar:

Geh- und Sinnesbeeinträchtigungen, aber auch Schwierigkeiten, sich orientieren oder schnell reagieren zu können, bergen ein enormes Risiko. Und auch das Geschlecht spielt eine große Rolle dabei, wie riskant der Schulweg ist. Dies liegt in erster Linie an spezifischen Gefahren, denen Mädchen auf dem Weg zur Schule aber auch in der Schule ausgesetzt sind. Viele Eltern in Landern des Globalen Südens sind daher nicht bereit, ihren Töchtern zu erlauben, lange Strecken zur Schule zu laufen oder gefährliche Wege zu nehmen.

Doch was können wir tun, um die Situation zu verbessern?

Im kleinen Maßstab sind es eine gute Verkehrserziehung, eine gute Infrastruktur wie getrennte Radwege und Schülerlotsen, damit Kinder sicher zur Schule gelangen. Im globalen Maßstab ist es in erster Linie ein Verteilungsproblem bei den Ausgaben für Bildung. Wir investieren nicht genug, nicht gerecht und nicht effizient genug in Bildung. Auf die Lander mit hohem Einkommen entfallen 63 Prozent der weltweiten Bildungsinvestitionen, aber nur zehn Prozent der schulpflichtigen Bevölkerung der Welt. Auf der anderen Seite finden wir Lander mit niedrigem bis mittlerem Einkommen, die mit nur acht Prozent der weltweiten Bildungsinvestitionen 50 Prozent der schulpflichtigen Bevölkerung unterrichten müssen. Das bedeutet eben auch weniger Schulen und damit weitere und risikoreichere Wege für die Kinder.

Daher setzt sich die Kindernothilfe in der Globalen Bildungskampagne dafür ein, dass Deutschland einen groben Beitrag für die globale Bildung bereitstellt. Denn Bildung ist, wie es die UNESCO formuliert, ein globales Gemeingut, von dem wir alle profitieren.